„Freiräume als Führende“

Dezember 1, 2017 - 4 minutes read

„Freiräume als Führende“

Grundsätzlich führe ich gerne!

Ich sitze in Gedanken in einer Milonga, schaue um mich und teile damit bei der allerersten Frage die (eine;-) „Not“ der Männer: Mit wem möchte ich wirklich gerne tanzen? Und darf ich mir die Freiheit nehmen, entsprechend zu wählen… und auch Tänzerinnen auszuschliessen? Ich glaube, dass dies für sehr gute männliche Tänzer echt schwierig sein kann.
In der üblichen Hetero-Szene habe ich diese Not nicht akut: Die „Enttäuschung“ hält sich bestimmt in Grenzen, wenn ich eine Frau nicht wähle? Gut so…. obwohl ich mich manchmal frage, was beim Tanzen an der Konstellation Mann mit Frau „interessanter“ ist als schlicht die Variante Mensch mit Mensch, Geschlecht(er) egal?

Wichtigste Voraussetzung fürs Führen: die Musik muss mich packen! Die Lust auf Gestaltung treibt mich auf die Tanzfläche. Und noch mehr ist es die Lust auf Gestaltung zu zweit! Ich spüre, wie sich mein Körper durch die Vorfreude „bündelt“. Darum frage ich meist schon einige Zeit vorher eine Tänzerin, ob sie mit mir mag…. wenn dann eine passende Musik laufen wird?! Mit etwas Glück ist sie im richtigen Moment noch frei!

Dann erfasse ich – buchstäblich, über die Tanzhaltung – mein Gegenüber; ich lasse mir und ihr Zeit, so dass im besten Fall Vertrauen entsteht. Ich deute über Körpersprache, „was gehen könnte“. Dann schicke ich „die Füsse der Folgenden“ auf den Weg. Ich beginne mit Einfachem. Gut, wenn ich das Vorausdenken lassen kann. Es ist eher eine Art „Musik aufs Parkett zeichnen“, miteinander!
Meist falle ich irgendwann in jene Abläufe, die schon „in Fleisch und Blut“ sind, und Varianten davon. Wenn ich „Lieblingsmuster“ (= meine positive Umdeutung von Gewohnheiten;-) noch mit der Energie der Begeisterung und der Musik füllen kann, so hat das für mich Gültigkeit. Die „Beschränkung“ öffnet ja manchmal erst den Raum für entspanntes Spiel zu zweit – und Überraschendes, so noch nie Getanztes, entsteht im wachen Austausch.

Ich kann als Führende die folgende Person für Momente ganz frei lassen, so dass sie die Musik eigenmächtig gestalten kann. Oder ich nehme „Suggestionen“ auf, d.h. ich spüre von meiner Partnerin, mehr oder weniger sanft, eine andere Gestaltungsidee, lasse diese zu ohne die Führung abzugeben. Es fühlt sich an, als ob mein Tanz für Momente „die Färbung“ meines Gegenübers annähme.

Freiheit als Führende bedeutet für mich unter anderem:

  • herauszufinden, wie viel oder wenig „von allem“ für das Gelingen des Tanzes förderlich ist
  • blitzschnell und kreativ auf „Fehler“ der Folgenden (solche sind immer Führungsfehler) zu reagieren
  • mein Können (und Nichtkönnen) der Musik zu unterwerfen
  • den soziale Aspekt des Gesellschaftstanzes ernst nehmend meinen Paar-Raum ins „grosse Ganze“ zu integrieren